Micro-Performance zum Friedensrekord

Seit dem Dreißigjährigen Krieg gab es keine so lange Zeit ohne Krieg in Deutschland wie die, in der wir nach dem Ende des 2. Weltkriegs leben. Dieser Friedensrekord der jüngeren deutschen Geschichte wurde 1988 aufgestellt: Am 31. Juli 1988 waren es 43 Jahre und 83 Tage Frieden seit dem Ende des 2. Weltkriegs am 9. Mai 1945. Die längste Zeitspanne ohne Krieg in Deutschland seit 1648. Seit 2008 gilt sie gar als die längste Zeit ohne Krieg in der gesamten deutschen Geschichte.

Historisch gesehen leben wir also in einer Ausnahmesituation. Darauf will die Textcollage zum Friedensrekord aufmerksam machen und daran erinnern, dass diese Ausnahmesituation instabil ist. Die Geschichte – auch die jüngste – zeigt, dass wir keine Sicherheit haben.

Es ist erstaunlich, wie lange wir in Deutschland in Frieden leben konnten; dass Krieg für fast alle von uns nur eine alte, eine exotische Geschichte ist, etwas wovon die Eltern, eher die Großeltern erzählten und wir nur aus Berichten, Museen und Nachrichten kennen. — Und es erstaunt, dass dies erstaunlich ist. Bei all diesen Kriegen, die schrecklicher und schrecklicher wurden. Bei all dem Aufwand, mit dem Erinnerungen wach gehalten werden.

Als der Friedensrekord aufgestellt wurde, war ich mit einem VW-Bus voller Jugendlicher in Ungarn. Wir verbrachten zwei Wochen in einer kleinen Ferienanlage in Szántód am Balaton gemeinsam mit jungen Erwachsenen aus Dresden. Ungarn war zu Zeiten der DDR eines der wenigen Länder, in denen sich Deutsche aus DDR und BRD begegnen konnten.

Jedenfalls: In der Nacht zum 31. Juli begrüßten wir den Friedensrekord mit der Textcollage, saßen im Kreis, dort in einem Feriencamp in Ungarn, ein Dutzend junger Leute aus Ost- und West-Deutschland. Wir hatten Krieg nur als kalten Krieg erlebt; gewalttätiger und bedrückender auf der einen Seite als auf der anderen. Die Grenzen zwischen West und Ost waren 1988 noch dicht. Noch im Sommer des darauffolgenden Jahres war es nicht möglich, die neugewonnenen Freunde in Dresden zu besuchen. Die Einreise in die DDR wurde mir verweigert.

1988 wieder zurück in Braunschweig eröffneten wir im August mit dem Text einen Auftritt von modern art im Schlosspark mit Geratter vom Synthesizer und dem Trommeln von Markus Welzel hinterlegt und mit Dias, die Andreas Kebschull projezierte.

Die BohlwegZeitenParty im Mai 2011 war der Anlass den Text noch einmal als 10minütige Micro-Performance darzubieten mit Andreas Rother (modern art) am Synthesizer (Korg MS 10 und Korg MS 20). Andreas Kebschull und Niko Groon schwenkten die Beamer und projezierten dadurch Militärflugzeuge und Falschirmspringer im Licht von Suchscheinwerfern an die niedrige Decke des Capitols (der Auftrittsort). Dazu kamen verfremdete, einer Wochenschau entnommene Kriegsgeräusche vom Band.